Frage: Welche Formen arthrotischer Erkrankungen werden Ihnen in Ihrer Praxis vorgestellt?
Dr. Müller: Arthrosen müssen als Endprodukt unterschiedlicher mechanischer und biologischer Einflüsse angesehen werden, die zur Gelenkschädigung führen. Das Wechselspiel zwischen Auf- und Abbau  des Gelenkknorpels ist dabei unausgeglichen, was zu destruktiven Veränderungen führt. Schubweise kommt es immer wieder zu einer entzündlichen Reaktion im Gelenkgewebe (Synovitis), was wir als aktivierte Arthrose bezeichnen und was klinisch zu stärkeren schmerzhaften Beschwerden und damit in die Arztpraxis führt.
Zwischenzeitlich kann die Arthrose auch ohne größere Beschwerden verlaufen (latent), aber weitere Zerstörungen verursachen. Begleitend finden sich meist schmerzhafte Muskelverspannungen und Muskelverhärtungen. Auch die Bänder sind betroffen (Tendinosen) ebenso wie die Menisken.
Typisch sind der Steifigkeitsgefühl und der Einlaufschmerz.
 
Schließlich beobachten wir auch die sogenannte dekompensierte Arthrose. Diese Form ist auf die gestörte Mechanik des deformierten Gelenks zurückzuführen und verursacht immer wieder ein schmerzhaftes Gelenkversagen. Entsprechend der Lokalisation unterscheiden wir hauptsächlich zwischen Gonarthrose (Kniegelenk), Coxarthrose (Hüftgelenk) und Omarthrose (Schultergelenk).

Es muss auch zwischen primären Arthrosen und sekundären Arthrosen (nach Verletzungen, Intoxikationen oder  Gelenk- bzw. Knochenerkrankungen) unterschieden werden. 


Frage: Welche Risikofaktoren bestehen hinsichtlich der Entstehung einer Arthose?
Dr. Müller:
Es bestehen einige sogenannte endogene Risikofaktoren, die genetisch bedingt sein können. Auf jeden Fall spielt das Alter eine Rolle, und  Frauen sind häufiger betroffen. Als exogene Faktoren spielen die Risiken im Zusammenhang mit Übergewicht, berufstypischen Abläufen (Landwirtschaft, Bergleute, Fliesenleger, Bauarbeiter) und bestimmten Sportarten (Kontaktsportarten wie Fußball, Leistungssport von Untrainierten) eine Rolle.

Frage: Welche Therapieoptionen kommen infrage? Dr. Müller: Es gibt keine für alle Arthrosen zutreffende alleinige Krankheitsursache und insofern auch keine direkt wirkende (kausale) Therapie.

Wir müssen also zunächst symptomatisch behandeln, wobei die Symptome im Mittelpunkt stehen, die den Arthrose-Patienten besonders belasten.  
Meine Aufklärungsgespräche sollen helfen, sich auf eine sinnvoll angepasste Lebensweise einzustellen, den Freizeitsport danach auszurichten, gutes Schuhwerk auszuwählen, Kälte und Feuchtigkeit zu vermeiden, Gelenk-wärmende Wäsche zu tragen, regelmäßig Gymnastik zu treiben und im warmen Wasser zu schwimmen sowie auf das Körpergewicht zu achten.
Vor allem soll kritiklose Schonung vermieden werden, dann der Gelenkknorpel muss regelmäßig stauchungsfrei zusammengepresst und wieder entlastet werden. Physiotherapien dienen der Schmerzbehandlung und helfen dem Patienten zu zweckmäßigem Verhalten und zur Eigenbehandlung mit Hilfe von gymnastischen  Übungen.
 
Insgesamt ist das konservative Therapiespektrum der Arthrose weit gesteckt.
Die medikamentöse Schmerztherapie besteht aus sogenannten NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika) wie Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen oder den modernen Coxiben. Diese Medikamente können jedoch – speziell bei der langfristigen Einnahme – ein ungünstiges Nebenwirkungsprofil haben.
In der sogenannten orthemolekularen Medizin gibt es Substanzen, die in ihrer Wirksamkeit ähnlich gut sind oder zumindest die Einnahmehäufigkeit der NSAR deutlich reduzieren können. Solche Substanzen sind z. B. bestimmte Aminosäuren oder Schwefelverbindungen.

Bei leichteren Arthrosen haben Studien eine gute Wirksamkeit von Glucosaminsulfat gezeigt. Sehr gute Ergebnisse v. a. in der Schmerztherapie liefern auch die Neuraltherapie und die Akupunktur.
Etwas invasiver, aber dafür ausgezeichnete Ergebnisse bewirkt eine seit einigen Jahren existierende Therapie mit sogenannten Interleukinantagonisten, die in das betroffene Gelenk injiziert werden.
Die jüngsten Studienergebnisse zeigen eine deutliche Überlegenheit gegenüber der bisher als Goldstandard geltenden Injektion von Hyaluronsäure.

Wie für andere Schmerzsyndrome gilt auch für die Arthrose, dass vernetzte Therapiekonzepte meist die beste Wirkung garantieren. Es sollten zunächst alle konservativen Maßnahmen ergriffen werden und erst bei deren Versagen, bzw. bei zu großer Einschränkung in der Lebensqualität, rate ich zu einem künstlichen Gelenkersatz.. Diese Operationen sind mittlerweile chirurgischer Standard und liefern ausgezeichnete Ergebnisse – insbesondere auch bei fortgeschrittenen Hüft- und Kniearthrosen.

Das Interview führte Dr. Ernst M. W. Koch